Umgang mit Frustration im Open-Source-Projekt WordPress

Die Zeiten ändern sich.

Dieser Beitrag scheint älter als 7 Jahre zu sein – eine lange Zeit im Internet. Der Inhalt ist vielleicht veraltet ...

Du hast deinen ersten Patch geschrieben. Du bist stolz. Und nichts geht weiter. Und du fragst dich: Warum machen die das nicht einfach?
Zum ersten: Es gibt kein „die“. Und einfach ist vieles nicht mehr, wenn man bedenkt, dass WordPress millionenfach installiert ist und somit auch millionenfach abwärtskompatibel bleiben sollte, damit nichts kaputt geht. Und schon entstehen ziemlich philosophische Fragen. Ist WordPress vielleicht gerade deshalb so „schlecht“ (auf den Code bezogen) und erfolgreich, weil es die alten Zöpfe nicht abschneidet?

Es hilft enorm beim Verständnis die Idee und Herausforderungen dahinter zu kennen. Welche Philosophien stehen hinter WordPress eigentlich?

Und wie sollten wir miteinander umgehen, wenn wir nicht ausbrennen und uns an die Gurgel gehen wollen …

Ein persönlicher Blick auf meine 10 Jahre WP-Community und wie ich mich geändert habe, damit ich die Lust am Mitmachen nicht verliere.

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Da die Slides ohne Kommentare nicht so ganz verständlich sind und das Video leider nicht auf WordPress.tv landen wird, da es Ton-Probleme gab, hier der Versuch eines Transkripts der Session vom WordCamp Frankfurt anhand meiner Notizen:

Normalerweise kommt am Anfang eines Talks immer eine Vorstellung inklusive meines WordPress-Engagements, wo ich mich also überall einbringe. Das ist aber heute nicht relevant.

Eigentlich habe ich einen Magister in Soziologe (Nebenfächer Sozialpsychologie und Medienwissenschaft). Daher begrüße ich Sie nun zur Vorlesung Soziologie 101 – „Was ist Wahrheit?“.

Die Limitierungen rein textbasierter Kommunikation waren schon vor dem Internet bekannt, wie wir es jetzt kennen. In meiner Jugend (lange ist es her), gab es einen Zusammenschluss von Mailboxen, das Fidonet. Da galten diese einfachen zwei Regeln auf denen alles basierte:

Thou shalt not excessively annoy others.
Thou shalt not be too easily annoyed.

Behalten wir das mal im Hinterkopf und wenden uns nun dem Hauptthema zu. Hier ein paar Beispiele wo Frustration auftreten kann.

Selektive Wahrnehmung: Das Forum-Syndrom

Frustration (Symbolbild)

Frustration (Symbolbild)

Ja, das ist meine Tochter. Warum ist das nur ein Symbolbild? Warum gibt es kein Bild von ihr, wie sie schreit? Weil ich mich dann um meine Tochter kümmere und sie nicht fotografiere!

Den gleichen Effekt haben wir auch im Forum. In Foren tauchen auch nur die Leute mit Problemen auf. Die (Mehrheit?) der anderen hören wir nicht.

https://twitter.com/glueckpress/status/771997595132624896

Immer das Schlimmste annehmen: Weltuntergang-Syndrom

Ein weiteres Beispiel für eine eskalierende Kommunikation ist es falsche Annahmen zu Grunde zu legen. Wenn jemand nicht antwortet muss das nicht ein aktives Ignorieren sein, es kann tausend andere Gründe geben: Urlaub, Krankheit, Umzug, etc. – es hilft der Kommunikation grundsätzlich immer eine positive Intention bei allem anzunehmen.

Es kann ja auch anders gemeint sein. Das Mousse-au-chocolat-Emoji 💩 wurde häufig missverstanden.

Ich gehöre nicht dazu: Mythos Innerer Kreis

Es gibt auch keinen inneren Kreis. Es gib nicht „die Amerikaner“. Nicht mal „die von Automattic“. An WordPress arbeiten immer Individuen mit mehr als einer Meinung, zwar an *einem* gemeinsamen Projekt, aber mit sehr vielen unterschiedlichen Ideen zu Richtung, Weg und Art wie an diesem Projekt gearbeitet wird.

Das Zitat von John James Jacoby heißt übersetzt so viel wie:

Wir versuchen Menschen zu Feinden zu machen. Es gibt aber keine Feinde, nur Leute, die ihre Sache so gut wie möglich versuchen zu erledigen.

Forenfragen, Bugtickets sind per se Orte der Frustration – wer dorthin kommt, hat ja ein Problem und möchte nachfragen oder es melden. Aber der Ton macht hier die Musik!
Du sägst ja auch nicht an dem Ast auf dem du sitzt.
Wer freundlich fragt, der bekommt auch (meist) eine freundliche Antwort.

Gerade die stark eingespannten Core-Entwickler, aber auch andere sehr aktive Community-Mitglieder (Übersetzer, Redakteure, etc.) haben viel zu viel zu tun und so versuchen Menschen mit zu wenig Zeit Menschen, die helfen wollen, aber (noch) kein Wissen haben, zu erklären warum etwas so nicht geht. Das muss scheitern.

https://twitter.com/paddyullrich/status/771999877664534529

Ein guter Grund um zu einem Contributor Day zu gehen. Genau für die Einarbeitung von Neulingen ist hier Zeit. Hier können Fragen gestellt werden und Fortgeschrittene können Lernwilligen den Einstieg erleichtern. Komplizierte Ideen oder Probleme können gezeigt werden (anstatt sie in Englisch umständlich beschreiben zu müssen).

Das übermächtige „Nein“ oder das Nacin-Phänomen

Langjährige Community-Mitglieder sind hier besonders gefragt, trotz der wenigen Zeit, umsichtig zu agieren. Wenn jemand mit hohem Ansehen in der Community (wie Lead Developer Andrew Nacin), eine Idee als nicht gut brandmarkt, dann ist es sehr unwahrscheinlich dass sich danach noch jemand damit beschäftigt.

First Contact: WONTFIX

Aber dennoch kann der erste Kontakt hart sein. Und ist auch ein Grund für den Hinweis am Ende des Trac-Ticket bei Neulingen. Dort wird darauf hingewiesen, wenn es sich um eines der ersten Bugreports handelt und ermahnt die übrigen Trac-Nutzer hier besonders auf einen freundlichen Empfang zu achten.

Die drei Reiter der Apokalypse

Aber auch an anderen Stellen (Redaktion, Meetups, Übersetzung, etc.) kann es zu Frustration kommen. Gerade bei den Organisatoren. Es stellen sich immer wieder die gleichen Fragen: Wer organisiert das nächste Meeting? Wer kümmert sich um welche Aufgabe? Bis wann?

Daher sind meine drei persönlichen apokalyptischen Reiter diese drei Wörter:
Jemand? -> Wer konkret?
Müsste? -> Willst du oder nicht? Konjunktiv besser vermeiden.
mal? -> Wann konkret?

Und noch eine kleine Ergänzung: Lieber absagen, sobald klar ist, dass du es nicht schaffst. Das ist besser als ewig zu vertrösten.

Wo entsteht Frustration?

  • Trac/Github-Issues (Bugticket-Systeme)
  • Slack (de+international)
  • Kommentarspalten
  • Foren (Communities, etc.)
  • Meetups/WordCamps
  • Social Media (Facebook, Twitter, Google+, etc.)

Wie entsteht Frustration?

  • keine Antwort/Reaktion
  • Absage(n)
  • keiner macht/hilft mit
  • Unverständnis/Missverständnisse
  • persönliche Attacken

Warum entsteht Frustration?

  • schlechte Kommunikation
  • mangelnde Ressourcen
  • zu wenig Informationen
  • zu früh (Idee noch nicht „reif“)
  • Nischenproblem (80/20-Prinzip) -> WP-Pholisophie
  • sich angegriffen fühlen

Wir müssen das aber nicht akzeptieren. Wir können auch etwas dagegen tun.

Mittel gegen Frustration?

  • mitlesen – mithelfen – mitdenken

Warum hilft Mitlesen? Weil wir so lernen wie die Prozesse ablaufen. Wie entstehen Entscheidungen in einem textbasierten Chat? Welche Probleme und Lösungen gibt es dazu. Um einen guten Einblick zu bekommen, hilft es, einfach nur da zu sein und mitzulesen. Andere sehen die Konsistenz wie Du das Geschehen verfolgst und nehmen dich anders wahr, wenn du etwas möchtest.

Warum hilft Mithelfen? Okay, das ist offensichtlich. Wer Protokolle erstellt, Statistiken verwaltet, Lösungen testet, Sponsoren sucht, Speaker anspricht, etc. hilft dem WordPress-Projekt enorm und muss dazu kein Entwickler sein. Außerdem ist man so ebenfalls immer auf dem aktuellen Stand.

Warum hilft Mitdenken? Gerade Neulinge haben einen riesigen Vorteil. Sie sind noch nicht „geeicht“ auf die WordPress-Welt. Quereinsteiger und Anfänger können uns einen wertvollen Schatz geben. Einen neuen Blickwinkel, eine Lösung, die in unserer Filterblase nicht existiert, weil wir den Tunnelblick haben und betriebsblind sind. Daran sieht man, jeder kann etwas einbringen, solange er mitdenkt und seinen Blickwinkel teilt.

  • Empathie für die Probleme/Situation anderer

Empathie ist für mich DER Schlüssel zu einem friedvollen Miteinander. Es kann zum Beispiel tausend Gründe haben, warum jemand kurz angebunden ist.

  • Geduld

Auch Geduld ist häufig wichtig, wenn es um Open-Source-Projekte geht. Die Umwandlung der Umlaute in WordPress wartete 6 (!) Jahre auf seine Umsetzung.

Da Kommunikation enorm wichtig bei all diesen Problemen ist, folgt eine kleine Einführung in das Vier-Seiten-Modell der Kommunikation von Friedemann Schulz von Thun (https://de.wikipedia.org/wiki/Vier-Seiten-Modell).

Als Ergänzung gibt es noch zwei Hinweise:

  • Der Kontext ist entscheidend.
  • Man kann nicht nicht kommunizieren.

Slack ist weniger formell als Trac. Das Supportforum bietet andere Antworten als StackExchange. Meetups haben eine andere Zielgruppe als WordCamps. Der Kontext verändert Inhalte und/oder Rezeption davon.

Nicht kommunizieren ist keine Option. Wer nicht antwortet (Slack, Forum, Trac, etc.) sendet auch eine Nachricht.

Ich habe das selbst hart lernen müssen, wie Kommunikation funktioniert. Nach meiner Bewerbung bei Automattic, gab es eine Absage und ich war sehr frustriert. Durch Martin, meinen „Kollegen“ bei WordPress.com, habe ich vom Kulturunterschied zwischen den Amerikanern und Deutschen gehört. Die verklausulierte Form eines Neins bei den Amerikanern vs. die brutal ehrlichen Deutschen. Da habe ich meinen Stil geändert.

https://twitter.com/glueckpress/status/772004083297349632

Immer erst bedanken, positiv Verstärken, denn das ist der einzige Weg zur gewünschten Veränderung beim Gegenüber.

Zurück zum Start des Talks. Die Grundaussage beim Fidonet hatte zwei Seiten:

  • Nicht *überschnell* genervt fühlen.
  • Nicht *übermäßig* andere nerven.

Die Adjektive sind dabei entscheidend. Es soll nicht die Debatte unterbinden, sondern eine Außengrenze definieren. Die kann auch subjektiv unterschiedlich ausfallen. Empathie ist hier wieder entscheidend.

Die ursprüngliche Frage nach „Was ist Wahrheit?“ ist also gar nicht so einfach zu beantworten. Wahrheiten sind subjektiv und somit können aus unterschiedlichen Blickwinkeln auch mehrere „Wahrheiten“ parallel existieren. Diese andere Seite anzuerkennen und zumindest nachzuvollziehen ist ein wichtiger Schritt. Wenn die andere Seite verstanden wird, dann ist auch eine Diskussion möglich.

Die Besonderheit bei ist: Die Entscheidungen werden von denen getroffen, die da sind und sich einbringen, also von den Aktiven. Die Frage ist also immer: Wer steht auf bei offenen Fragen? Wer übernimmt Verantwortung? Im Meetup, Kommentarspalten, bei der Verteilung von Todos, etc. Und zwar auch auf die Gefahr zwischen den Stühlen zu stehen (z.B. weil man anderen eine Entscheidung erklärt, die man selbst nicht getroffen hat/hätte).

Bei alldem sollte man aber auch nicht vergessen: Es ist ein freiwilliger Job. Nicht alles muss ertragen werden und manchmal ist die einzige Chance eine Freiheit zu nutzen, die uns auch immer gegeben wird. Zu gehen. Nicht jede Diskussion muss gewonnen werden. Dinge brauchen manchmal einfach Zeit. Im Zweifel nimm einfach an, dass die anderen einfach noch nicht bereit sind für deine Ideen 🙂

Weiterlesen:

https://wptavern.com/us-vs-them
http://chrislema.com/always-us-always/
http://wprealm.com/blog/when-is-a-wordcamp-a-wp-camp/

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