Die GPL, die vier Grundrechte und die Ethik

Die Zeiten ändern sich.

Dieser Beitrag scheint älter als 3 Jahre zu sein – eine lange Zeit im Internet. Der Inhalt ist vielleicht veraltet ...

In der letzten Woche wurde ich von den Kollegen aus dem internationalen Supportforum zu Hilfe gerufen. Es gab einen Streit zwischen zwei Parteien und das Ganze fand auf Deutsch statt, so dass sie nach einem „native speaker“ suchten, der sich die Diskussion mal anschauen kann. Es ging um das Plugin „Prosodia VGW OS“ und eine 1-Sterne-Bewertung, in der es um einen Zensurvorwurf ging. Aber es war viel mehr als nur ein typischer Streit über eine schlechte Bewertung …

In dem Review warf der Nutzer den Autoren des Plugins Zensur vor. Wegen mutmaßlichem Verstoß gegen die Lizenzbedingungen. Die bisher beteiligten Moderatoren vermuteten, dass der Dienst hinter dem Plugin den Nutzer ausgeschlossen hat. Doch ich wusste, dass die VG Wort nichts mit dem Plugin zu tun hat und wüsste auch von keinem Ausschluss einzelner durch die VG Wort.

Ich vermutete daher, dass die Lizenzbedingen nur vom Plugin kommen konnten und tatsächlich fand ich schnell die fragliche Stelle:

Prosodia VGW OS wird von der Max Heckel, Ronny Harbich – Prosodia GbR unter der GPLv2-Lizenz vertrieben, die unter http://www.gnu.org/licenses/gpl-2.0.html nachzulesen ist. Einschränkend gilt jedoch: Prosodia VGW OS darf nicht auf Websites verwendet werden, deren Inhalt – auch teilweise – Formen von Rechtspopulismus, Rechtsextremismus, Antisemitismus, fundamentalistischer Religiosität, Desinformation (u. a. „Fake News”), Kinderpornografie, Sexismus, Rassismus, Diskriminierung, verfassungsgemäß/gesetzlich Verbotenem einschließt.

Aber nur, weil die Lizenzbedingungen so etwas sagen, wird doch kaum jemand „Zensur!“ schreien, also vermutete ich, dass im Plugin hardgecodet noch ein Test der fraglichen Domain stattfindet. Eine Suche mit WP Directory war jedoch negativ. Also durchsuchte ich das Plugin nochmal einzeln und bin auf die Datei /includes/terms.php gestoßen:

class WPVGW_Terms {

	public static function check_terms() {
		
		$a = parse_url( home_url() );
		
		$b = strtolower( $a[str_rot13( 'ubfg' )] );
		
		return
			
			$b != str_rot13( '[removed]' ) && 
			$b != str_rot13( '[removed]' ) && 
			$b != str_rot13( '[removed]' ) && 
			$b != str_rot13( '[removed]' ); 
	}

}

Die URL der Website wird durch str_rot13 geschickt und dann mit den ebenso veränderten URLs der gesperrten Websites (hier absichtlich entfernt) verglichen. Daher hatte ich mit einer Suche nach der Domain kein Erfolg gehabt.

Nun garantiert die GPL als Lizenz aber vier grundlegende Rechte:

Die Freiheit, das Programm auszuführen wie man möchte, für jeden Zweck (Freiheit 0).
Die Freiheit, die Funktionsweise des Programms zu untersuchen und eigenen Datenverarbeitungbedürfnissen anzupassen (Freiheit 1). Der Zugang zum Quellcode ist dafür Voraussetzung.
Die Freiheit, das Programm zu redistribuieren und damit Mitmenschen zu helfen (Freiheit 2).
Die Freiheit, das Programm zu verbessern und diese Verbesserungen der Öffentlichkeit freizugeben, damit die gesamte Gesellschaft davon profitiert (Freiheit 3). Der Zugang zum Quellcode ist dafür Voraussetzung.

Quelle: https://www.gnu.org/philosophy/free-sw.html

So sehr ich also die Plugin-Autoren verstehe, dass sie Websites ausschließen möchten, die Fake News verbreiten oder Rassismus enthalten, so problematisch ist die Umsetzung dieser Idee. Wer entscheidet, ob etwas Satire oder Fake News ist? Und wie ist diese Idee mit den vier Freiheiten der GPL zu vereinen?

Auf diese pilosophische Frage ist Richard Stallman in einem spannenden Artikel eingegangen (gefunden via Stackexchange).

Die Probleme sind hier vielfältig. Wäre so eine Lizenz überhaupt (juristisch) umzusetzen? Und selbst wenn ja, wäre das etwas wünschenswertes?

Abgesehen von dieser Frage, gibt es natürlich sowieso das „Hausrecht“ im WordPress-Plugin-Verzeichnis, also die Plugin Guidelines.

Und da gibt es gleich zwei Verstöße:

-> Plugins must be compatible with the GNU General Public License (Regel #1)

und

-> Code must be (mostly) human readable. (Regel #4)

Letzteres könnte durch die ROT13-Transformation schon verletzt sein in meinen Augen.

Dankenswerterweise (es ist nämlich ein hervorragendes Plugin) haben die Entwickler schnell auf die Hinweise reagiert und ein Update veröffentlicht:

3.22.10
Lizenztext geändert. Lizenzrestriktionen entfernt.
Quelle: Changelog

So unschön auch manche Websites für uns sind, wir sollten nicht versuchen mit der Anpassung der GPL eine Nutzung zu verbieten. Am Ende entstünden unzählige unvereinbare Lizenzen und Software, denn auch diejenigen, die nicht unsere Meinung teilen, könnten und würden ja dann die Lizenzen entsprechend anpassen.

Es gibt Möglichkeiten, wo wir effektiv bestimmte Regeln umsetzen – sprich aufstellen und den Verstoß sanktionieren – können. In einem Code of Conduct für WordCamps sind zum Beispiel ist das gut möglich. Bei der Lizenz sollten wir das lieber sein lassen.

Du siehst das anders? Oder möchtest etwas klarstellen, ergänzen oder korrigieren? Dann freue ich mich über eine Diskussion in den Kommentaren.

6 Antworten auf Die GPL, die vier Grundrechte und die Ethik

  1. Das ist wirklich ein heikles Thema. Selbstverständlich haben viele von uns im ersten Moment vermutlich Sympathie dafür, dass ein Hersteller eines Plugins nicht möchte, dass es dabei hilft Gedanken zu verbreiten, die den eigenen Ansichten widersprechen oder sogar gesetzwidrig sind. Aber wenn man ein WordPress Plugin schreibt, dann ist man an die GPL gebunden.

    Es ist nicht die Aufgabe von Plugins zu entscheiden, welche Inhalte im Internet veröffentlich werden dürfen und welche nicht. Das sollte Aufgabe der Regierungen und Strafverfolgungsbehören sein.

    So sehr ich also den Grund verstehen kann, so überrascht bin ich doch auch, dass sie das ganze auch noch versteckt haben. Ein solches Verhalten kann man ebenfalls als unethisch betrachten.

    Zuletzt bin ich aber sehr froh, dass die GPL nur für die Software gilt. Auf unseren offiziellen WordPress Veranstaltungen und auf unseren eigenen Blogs und Websites dürfen wir zum Glück noch immer entscheiden, was gesagt werden darf und was nicht. Und selbstversätndlich nehme ich mir auch das Recht heraus, auf meinem eigenen Blog solche Kommentare zu „zensieren“, die ich nicht auf meinem Blog stehen haben möchte. Alle haben das Recht ihre Meinung zu sagen, aber nicht, dass es auch meinem Blog passieren muss.

    Ich hoffe dieser offene Kommentar wird nicht ebenfalls zensiert. Aber so habe ich Torsten nicht kennengelernt 😉

  2. Super spannendes Thema, jetzt erst gesehen! Auch die Diskussion zu der Bewertung ist interessant zu lesen. In diesem Fall gibt es auch Überschneidungen mit der Diskussion um MAGA-Caps auf WordCamps, darüber hatte ich ja auch schonmal geschrieben (shameless plug): https://voneff.de/de/wordpress-maga-und-die-afd/

    Ich finde es ebenfalls problematisch, wenn jemand über „akzeptable“ und „nichtakzeptable“ Nutzer*innen von freier Software entscheidet – insbesondere, wenn der Entscheidungsprozess intransparent ist.

    Um trotzdem mal einen Gegenstandpunkt einzunehmen: Die GPL hätte dem Nutzer ja erlaubt, das Plugin zu forken und die Restriktion zu entfernen. So hätte er es auch gegen den Willen des Plugin-Autoren einsetzen können. (Das Verstecken der Restriktion lasse ich jetzt mal außen vor.)

    Jetzt kommt gedanklich ein ziemlicher Stretch, aber mir ist kein anderes Beispiel eingefallen: Es gibt ja Plugins im Plugin-Verzeichnis, deren Funktionalität aus einem ganz anderen Grund eingeschränkt ist – nämlich der Monetarisierung. Viele Autor*innen lösen das ja so, dass sie für Premium-Nutzer*innen zusätzliche Addon-Plugins außerhalb des Plugin-Verzeichnisses anbieten. Bei anderen Plugins – mir fällt jetzt gerade Wordfence ein – ist die Funktionalität im frei erhältlichen Plugin bereits vorhanden, aber kann nur durch den Erwerb von API-Keys freigeschaltet werden.

    Während ich keinesfalls das Interesse an der Monetarisierung von Plugins infrage stellen möchte – wenn funktionelle Einschränkungen aus monetären Gründen mit der GPL vereinbar sind, sind dann nicht andere Einschränkungen grundsätzlich auch denkbar?

    • wenn funktionelle Einschränkungen aus monetären Gründen mit der GPL vereinbar sind, sind dann nicht andere Einschränkungen grundsätzlich auch denkbar?

      Nein, denn diese Einschränkung steht gegen „Freiheit 0“: Die Freiheit, das Programm auszuführen wie man möchte, für jeden Zweck.

      Die Funktionseinschränkung ist ja Sache des Autoren/der Autorin. Ich darf ja bestimmt Aspekte in der freien Version anbieten und dann eine Pro-Version, die kostenpflichtig ist. Aber wenn diese auch GPL-lizenziert ist, dann darf ich die tatsächlich weitergeben. Meistens ist durch die Verknüpfung mit automatischen Updates und Support dann de facto doch eine Einschränkung gegeben, aber das ist ein anderes Thema.

      Die Funktion hinter einer API zu anzubieten, die ggf. kostenpflichtig ist, ist ausdrücklich auf WordPress.org erlaubt: https://developer.wordpress.org/plugins/wordpress-org/detailed-plugin-guidelines/#6-software-as-a-service-is-permitted
      Mit ein paar zusätzlichen Einschränkungen.

      • Ahja, in den Guidelines nachzuschauen, das hätte mir ja auch mal einfallen können. 😉
        Diese SAAS-Richtlinien führen bestimmt auch hin und wieder zu Diskussionen, aber mein Vergleich mit der Exklusion bestimmter Nutzer hinkt offensichtlich ganz schön. Danke!

  3. Interessanter Artikel, interessantes Thema. Ich melde mich hier als Autor des Plugins „Prosodia VGW OS“. Da ich die folgende Argumentation auch schon dem WordPress-Plugin-Team vorgelegt hatte, wäre ich für eine Einschätzung nicht undankbar:

    If I see it right, GPLv2 says „Activities other than copying, distribution and modification are not covered by this License; they are outside its scope. The act of running the Program is not restricted …“ This means GPLv2 takes no control over program execution. Please see https://www.ifross.org/en/what-are-obligations-involved-internal-use-software-licensed-under-gplv2 for more details. Therefore, I do not see that we are not allowed to restrict the execution of our plugin – more precisely, we do not deny the execution, we restrict some functions/features. We do not restrict the right of „copying, distribution and modification“ allowed by GPLv2.

    The only sentence according to program execution I can see is „The act of running the Program is not restricted …“. So the GPL does not restrict it, but no restriction in GPL that I’m not allowed to restrict the execution. In German law in §62 c, 1th Paragraph (https://www.gesetze-im-internet.de/urhg/__69c.html – you may use deepL.com to translate) there is no need to permit program execution if and only if the program author does not restrict it explicitly.

    Des Weiteren ist es paradox, dass das WordPress-Plugin-Verzeichnis von seinem „Hausrecht“ Gebrauch machen darf („… to disable or remove any plugin from the directory, even for reasons not explicitly covered by the guidelines“ https://developer.wordpress.org/plugins/wordpress-org/detailed-plugin-guidelines/#18-we-reserve-the-right-to-maintain-the-plugin-directory-to-the-best-of-our-ability), Plugin-Entwickler in ihren Plugins allerdings nicht – m. E. wird hier mit zweierlei Maß gemessen. Ich kann natürlich die Notwendigkeit dieser „Hausrecht“-Regel des Verzeichnisses vollkommen nachvollziehen.

    Ich möchte gerne auch hier (wie unter https://wordpress.org/support/topic/zensur-per-plugin/) nochmals betonen, das unser Plugin zu keiner Zeit zensiert hat. Das Plugin hat nicht verhindert, dass entsprechende Fake-News-Webseiten usw. Beiträge usw. veröffentlichen konnten, noch wurde irgendwas gelöscht oder „geschwärzt“. Das ist im Source Code nachzusehen (auch im WordPress-SVN). Es wurde nur verhindert, dass Zählmarken der VG WORT, die vom Benutzer im Plugin eingegeben worden sind, auf der Website ausgegeben werden.

    Ich empfinde es bis heute als im Grunde nicht tragbar, dass die Bewertung https://wordpress.org/support/topic/zensur-per-plugin/, die offensichtlich Desinformation verbreitet („Zensur per Plugin! – Pfui!“), nicht entfernt wurde – hierbei geht es mir nicht um die Sterne, sondern um den Zensurvorwurf, der weder begründet noch haltbar ist.

    Eine letzte Stellungnahme noch zum obigen Artikel: „So sehr ich also die Plugin-Autoren verstehe, dass sie Websites ausschließen möchten, die Fake News verbreiten oder Rassismus enthalten, so problematisch ist die Umsetzung dieser Idee. Wer entscheidet, ob etwas Satire oder Fake News ist? Und wie ist diese Idee mit den vier Freiheiten der GPL zu vereinen?“ Zunächst ist zu sagen, dass wir nach § 69c UrhG schlicht entscheiden dürfen, wer unser Plugin nutzen darf und wer nicht. Mithin stellt sich die Frage „Wer entscheidet, ob etwas Satire oder Fake News ist?“ hier nicht. Wenn man die Frage dennoch stellt, ist eine Antwort: im Zweifelsfall ein Gericht – ansonsten der gesunden Menschenverstand, Logik und Wahrheit. Und zum Thema „Freiheit“ in der GPL: auch hier muss – wie in unserem Grundgesetz – klar sein, dass Freiheit auch immer mit Verboten einhergeht, nämlich dann, wenn andere ebendiese einzuschränken versuchen, wenn es um Rassismus, Ungleichbehandlung, Kinderpornographie usw. geht. Interessant dazu zu lesen ist u. a. https://www.bundestag.de/dokumente/textarchiv/2017/kw26-de-netzwerkdurchsetzungsgesetz-513398

    Auf konstruktive Kritik freute ich mich sehr.

    Schöne Grüße
    Dr. Ronny Harbich

    • Hallo Ronny,

      erst einmal tut es mir leid, dass ich solange für die Freischaltung gebraucht habe. Habe den Kommentar erst jetzt im Spamordner gefunden!

      Ich bin kein Anwalt, aber ich verstehe den erst genannten Artikel etwas anders.

      Im Deutschen wird es (für mich) klarer. Es geht darum, dass die GPL selbst eben genau nicht die Ausführung selbst unterbinden kann. Da für die Ausführung selbst kein Einverständnis des Urhebers notwendig ist. Im Umlauf befindliche Kopien sollen dadurch nicht unbenutzbar gemacht werden können.
      https://www.ifross.org/welche-pflichten-bestehen-beim-rein-internen-einsatz-unter-gplv2-lizenzierter-software

      Ich denke, dass die „Zustimmungsbedürftigen Handlungen“ ja gerade durch die GPL freigegeben werden. Denn laut 69c wäre die Vervielfältigung ja auch zustimmungsbedürftig. Das ist aber explizit durch die GPL erlaubt.

      Ich stimme dir zu, was die exakte Nutzung des Wortes „Zensur“ angeht, aber in einem internationalen Kontext ist das schwer zu vermitteln. Gemeint ist der spezifische Ausschluss einiger Websites von der Plugin-Funktion. Ob man das jetzt „Zensur“ nennen kann obwohl damit meist etwas anderes gemeint ist, ist sicher diskutabel, aber für mich bei der Einschätzung der Sache nicht relevant.

      Was ungerechtfertigte Reviews angeht, so verstehe ich deinen Unmut, aber ich bin da nicht der richtige Adressat. Das wäre das Support-Team und/oder das Plugin-Team. Aus der Vergangenheit und meinen eigenen Erfahrungen (dankenswerterweise bisher nur als Unterstützer anderer und nicht als selbst Betroffener) gilt die Devise: Solange es keinen handfesten Grund gibt, wird nichts gelöscht. Die Reaktion der Plugin-Autoren auf 1-Sterne-Reviews sagt viel aus, über die Art und Weise wie mit (ggf. ungerechtfertigter) Kritik umgegangen wird. Wer da verbal um sich schlägt, der disqualifiziert sich nur selbst und wer klug reagiert, kann so auch Nutzer gewinnen. Vielleicht nicht den wütenden mit der 1-Sterne-Rezension, aber vielleicht den einen oder anderen Leser, der von der besonnenen Art der Reaktion überzeugt wird. So zumindest die übliche Sichtweise der Teams auf das Thema.

      Zu deiner Zusammenfassung würde ich also sagen, dass GPL und § 69c UrhG sich hier beißen und welches wirklich höher eingeschätzt wird, da habe ich keinen Schimmer als Nicht-Anwalt.

      Letztenendes ist aber nur die Einschätzung der Betreiber von WordPress.org hier relevant und die kennen das deutsche Urhebergesetz nicht. Wohl aber die GPL, die für alle Plugins auf WordPress.org gilt. Folglich sehe ich kaum Chancen hier irgendwas zu erreichen.

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